#15 – i seek you!

„I seek you“… So ungefähr könnte ein von Rachegelüsten gequälter Antiheld in einem neuen Tarantino-Streifen seinen Unmut zum Ausdruck bringen. In den Neunzigern war das anders, da wurde „i seek you“ mit ICQ abgekürzt und stand für den zur damaligen Zeit populärsten Messaging-Dienst! 🙂

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Fun Fact: Eigentlich könnte ich mir diesen Artikel sparen, denn es gibt bereits einige wundervoll „nostalgische“ Schwärmer-Beiträge zu dem Thema à la „Was wurde eigentlich aus…?“  und „Mein ICQ-Protokoll aus dem Jahr 2000: Die schrägen Tage im Netz von damals“, aber die Software begleitet mich nun schon so viele Jahre meines Lebens und ich bin der Meinung das hat „sie“ sich jetzt einfach verdient… 😉

Ebenso ist das Thema eine prima Gelegenheit nochmal auf mein mega cooles neues Hintergrundbild hinzuweisen (danke Michi!): Ist euch schon die ICQ-Blume darin aufgefallen? 😉

ICQ wurde 1996 von Mirabilis – ein von israelischen Studenten gegründetes Startup-Unternehmen – entwickelt und galt als erster massentauglicher „internetweiter“ Instant-Messaging-Dienst (tatsächlich – Microsoft hatte mit ihrem „MSN Messenger“, heute vielleicht einigen noch als „Windows Live Messenger“ bekannt, die Idee drei Jahre später nur abgekupfert…)

Fun Fact: Auch der „Windows Live Messenger“ lebt schon lange nicht mehr, dieser wurde 2013 zugunsten von Skype eingestellt. ICQ gibt es tatsächlich immer noch! 🙂

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Nachdem die Israelis einem Verkauf zugestimmt haben, landete der Messenger ab 1998 für gut 400 Millionen US-Dollar bei dem Internetgiganten AOL. Zu dieser Zeit war ICQ mit weit mehr als 100 Millionen Mitgliedern Marktführer im Bereich Instant-Messaging!

Fun Fact: Erinnert sich noch jemand? „Bin ich schon drin? Das ist ja einfach“ – die kultige AOL-Werbung mit Boris Becker – das waren noch Zeiten 😉

2010 wurde ICQ schließlich für 188 Millionen US-Dollar nach Russland an die „Mail.Ru Group“ abgestoßen, welche im Übrigen auch mit 400 Millionen Dollar an Twitter beteiligt ist! Zu dieser Zeit entstanden in Zusammenarbeit mit „ProSiebenSat.1 Media SE“ spezielle Versionen (7 & 8) mit rot-schwarzem Pro7-Sat1-Skin. Erinnert sich noch jemand an die Fernsehwerbung? 😉

So – nun aber genug der Theorie! Wie wäre es mit einem kleinen Flashback? 😉

Wer erinnert sich nicht an hunderte parallel geöffnete Chat-Fenster und dem kultigen „Uh-Oh“-Benachrichtigungssound beim Eingang einer neuen Nachricht? Wer erinnert sich nicht an viele Stunden Spielspaß mit Zoopaloola, Slide-a-Lama, WarSheep und den ganzen anderen Spielen? Wer erinnert sich nicht an die großzügige Auswahl an lustigen Emojis und sogenannten „tZers“, welche heutzutage wohl nicht mal mehr als unerwünschtes Pop-Up durchgehen würden?

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Ach ja – schön war’s… 🙂

Da fällt mir ein – bei der Gelegenheit könnte ich doch glatt mal schauen, was ich noch an ICQ-Daten herumfliegen habe – mal sehen…

Bei einem Suchvorgang auf alten Datensicherungen bin ich auf einen ominösen „ICQ-Ordner“ gestoßen, welcher etwas genauer inspiziert werden möchte! Darin befindet sich ein Ordner namens „Received Files“ (also quasi die damals über ICQ empfangenen Dateien). Ich kann euch gar nicht sagen was hier alles an Kostbarkeiten (akustisch und visuell) ans Tageslicht gekommen ist – definitiv kein Material, welches in einem Blog veröffentlich werden sollte. 😉

Neben den empfangenen Dateien findet sich noch eine „Messages.mdb“. Wenn ich mich recht erinnere, wurden in dieser Datenbank alle Chatverläufe lokal gespeichert! Die Dateiendung „.mdb“ deutet auf eine ICQ-Version 6.x hin. Ob man nun nicht einfach eine alte Version installieren und den Chatverlauf importieren kann um sich so die volle Nostalgie-Ladung abzuholen? Doch wo bekommt man jetzt das Installationsprogramm dazu her, wenn man nicht zufällig noch einen alten Rechner mit dem Installer zur Verfügung hat? Eigentlich kein Problem, denn im Internet gibt’s ja alles und so gibt es tatsächlich Menschen, die alte Versionsstände auf einer Webseite sammeln. Ich hab mich letztendlich für die Version 6 Build 7015 von 2008 entschieden, damit könnte es klappen.

Doch wie bringe ich die zum Laufen? Unter Windows 10 (64 Bit) wird das nichts… Da hilft nur eins: Virtualisierung! 🙂 Also schnell mit Virtualbox ein virtuelles Windows XP 32-bit installiert. Allein der Sound beim Hochfahren weckt zahlreiche Erinnerungen an schlaflose Nächte vor dem PC… 😉

Nun noch schnell ICQ installieren – selbstverständlich mit Adobe FlashPlayer! 😉

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Huch? Damit hätte ich nicht gerechnet. Man merkt sofort, dass man mit einer Qualitätssoftware zu tun hat, die Entwickler haben wirklich an alles gedacht! 😀 Wie hättet ihr euch entschieden? xD

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Und da ist es…

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Doch leider endet hier auch bereits der Ausflug in die Vergangenheit. Der Startvorgang ist zwar erfolgreich, aber spätestens beim Versuch sich anzumelden bekommt man einen Fehler. Ob es nun an geänderten Serverdaten, nicht mehr unterstützten Protokollen oder was auch immer liegt, lässt sich wohl kaum mehr feststellen. 🙁

Und selbst wenn ich mich anmelden könnte, wäre nicht klar, ob sich der Chatverlauf überhaupt importieren ließe (ich meine das wurde ab einer bestimmten Version deaktiviert). Auch das „Hauptargument“ (die ICQ-Games), die für die Verwendung einer so alten Version sprechen, zieht auch nicht mehr, denn diese wurden leider 2012 eingestellt und sind somit für die Ewigkeit verschollen. 🙁

Lediglich Slide-a-Lama existiert noch als Flashgame auf einigen Seiten im Internet. Diese Version kann man jedoch nur „gegen sich selbst“ spielen – das ist einfach nicht das Gleiche :(.

Fun Fact: Für Android-Smartphone-Besitzer gibt es eine Alternative namens „Slide A Fruit“. Kommt nicht ganz ans Original heran, aber besser als nichts! 😉

Doch wie komme ich jetzt mit meinem Chatverlauf weiter? Irgendwie muss man den doch wieder in lesbare Form bekommen. Mit einem normalen Texteditor komme ich da nicht weit…

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Im Netz gibt es durchaus einige Tools für ICQ (mit teils sehr fragwürdiger Qualität), jedoch fällt bereits das Auffinden gar nicht mehr so leicht, denn viele dieser Seiten waren nur so um die Jahrtausendwende aktiv. Nachdem mich der legendäre „ICQ History Converter“ mit einer SQL-Fehlermeldung im Stich gelassen hat, musste ich mir eine andere Lösung suchen.

Wenn es mit den Werkzeugen aus der damaligen Zeit nicht klappt, müssen eben andere Methoden her. Selbstverständlich könnte man die Datei wohl mit einer Datenbankanwendung (z.B. MS Access) öffnen, aber das „Lesen“ wäre doch sehr anstrengend, da ich den Aufbau der Chatverlaufdatenbank nicht kenne.

Gut, dass es noch mehr verrückte Leute auf dieser Welt gibt. So hat jemand tatsächlich 2014 (!) eine Software namens „ICQDump“ geschrieben und auf GitHub veröffentlich. Das PHP-Skript soll angeblich die alten „Messages.mdb“-Dateien im HTML-Form lesbar aufbereiten können.

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Soweit die Theorie, denn um das PHP-Skript zu verwenden, muss dieses natürlich auch auf einem Web-Server laufen. Da ich keinen Web-Server in der Hosentasche habe nun aber auch nicht zu viel Zeit mit einer Installation verbringen möchte, habe ich mich für XAMPP entschieden. XAMPP stellt lokal einen Apache-Server mit MySQL-Datenbank ohne großen Konfigurationsaufwand zur Verfügung. Das ist eine recht elegante Lösung, wenn man nur eben schnell mal was ausprobieren möchte, für richtig „produktive“ Webseiten ist das nichts…

Die ganze Installation habe ich logischerweise auf der virtuellen Maschine durchgeführt, sodass nach der Aktion keine Leichen auf meinem PC liegen bleiben. XAMPP ist schnell installiert, die Kunst bestand eher darin eine alte Version zu finden, welche noch mit 32 Bit Windows XP klar kommt 🙂

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Anschließend kann eine Shell gestartet und die entsprechenden Befehle für „icqdump“ abgesetzt werden:

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Die ersten Versuche scheiterten noch kläglich, denn zuerst spuckte mir die Standardkonfiguration von XAMPP in die Suppe, weil die für das Tool benötigte „php_pdo_odbc.dll“ nicht geladen war, obwohl die Fehlermeldung auf was ganz Anderes hindeutet…

Anschließend musste noch das „memory_limit“ in der PHP-Konfiguration angepasst werden, weil meine Messages.mdb so groß (425 MB) war und eine Verarbeitung durch das Skript immer fehlerhaft abgebrochen ist. An sich kein Problem, nur blöd, dass ich mich beim Betriebssystem für ein 32 Bit Windows XP (max. 3,5 RAM) entschieden habe und so beten musste, dass die zwei – der PHP-Konfiguration zugeteilten – Gigabyte für die Verarbeitung des Skripts ausreichten. Was lernen wir daraus? Ich habe damals zu viel gechattet 😉

Nebenbei sind natürlich auch wieder drei Stunden Lebenszeit flöten gegangen, aber das Problem war gelöst – IT ist doof 🙂

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Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe es geschafft die Chatverläufe in einem lesbaren Format zu öffnen. Eins kann ich euch sagen: Da stößt man vielleicht auf Perlen – selten so gelacht. Insgesamt deckt die Datei einen Zeitraum von 2008 – 2012 ab. Schon verrückt, das ist „erst“ ca. zehn Jahre her und trotzdem wirken die Dialoge wie aus einer anderen Epoche (*seufz*, man wird alt…). Allerdings möchte ich jetzt auch nicht zu sehr ins Detail gehen, die damalige „Kommunikation“ ist definitiv nichts für diesen Blogbeitrag… 😉

So, jetzt aber genug der Nostalgie – es wird Zeit für ein Fazit!

Wieder könnte ich mich entsprechend kurz fassen, da sogar die Computerbild dem Messenger 2016 einen tollen Artikel zum 20. Geburtstag gewidmet hat, aber ein persönliches Wort zum Schluss muss dann doch noch drin sein:

Vielen Dank ICQ!

Vielen Dank für die vielen unvergesslichen Momente, die jugendlichen Gefühlsdramen, das sinnlose Gequatsche unter Freunden, die unzähligen Stunden Slide-a-Lama oder die schier unüberblickbaren Gruppenchats (ich zeige auf dich, WhatsApp 😉 )

Ein kleiner Fun Fact noch zum Schluss: Seit 2016 verzeichnet ICQ tatsächlich wieder steigende Nutzerzahlen! Die Zukunft kann kommen… 🙂

In diesem Sinne – alles Gute ICQ! Auf die nächsten 23 Jahre! 🙂

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