Der Atari 2600 – eine der wirtschaftlich und kulturell bedeutendsten Heimkonsolen der Videospielgeschichte. Oder anders gesagt: Ein echter Klassiker!
Fun Fact: Die Konsole wurde über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten produziert und insgesamt über 30 Millionen Mal verkauft. Ist das nicht der Wahnsinn? 🙂
Den Atari 2600 haben wir ja bereits in Artikel 107 kennengelernt. „Damals“ habe ich euch etwas über die Geschichte rund um Ataris Erfolgsgerät erzählt und wir haben uns ein paar Spiele angesehen. In den Beiträgen 224 und 225 sind wir dann einen Schritt weiter gegangen und haben einem Atari 2600 Junior einen „AV-Mod“ verpasst, um das Gerät über Cinchbuchsen (Compositesignal), anstatt dem hemmungslos veralteten Koaxialstecker (Antennensignal) an einen Retro-TV anschließen zu können.
Laber Rhabarber – ist doch alles kalter Kaffee. Stimmt! 😛 Heute soll es aber weniger um die Konsole selbst, als um ein nützliches Stück Hardware gehen, welches der betagten Konsole wieder frischen Wind einhaucht. Darf ich vorstellen? Die „UnoCart 2600“:
Mit diesem Stück Hardware lässt sich so ziemlich jedes beliebige Atari-Spiel als ROM-Datei von einer MicroSD-Karte laden und auf der Atari-Konsole abspielen. Es handelt sich also um eine „Flashkarte“, wie wir sie im Rahmen vergangener Beiträge schon des Öfteren kennengelernt haben.
Fun Fact: Im Endeffekt ist es das gleiche Prinzip wie beim EverDrive-64 (Artikel 56) für N64 Spiele, dem EZ-Flash iV (Artikel 80) für Game Boy Advance Spiele, dem EDGB (Artikel 189) für Game Boy Spiele oder dem EDN8 (Artikel 218) für NES Spiele – nur eben für Atari 2600 Spiele. Schon unfassbar, wie viele solcher Dinger wir uns schon angesehen haben, oder? 😉
Neben dem Slot für eine MicroSD-Karte…
…befindet sich auf der Oberseite des Moduls auch ein Schalter (bzw. ein Jumper), über welchen sich die Fernsehnorm der Firmware (NTSC oder PAL) einstellen lässt. Dadurch kann die Flashkarte mit amerikanischen oder europäischen Atari-Konsolen betrieben werden – clever!
Ich gebe es offen zu – eigentlich wäre es eine coole Challenge gewesen, so ein Teil selbst zu bauen. Die UnoCart 2600 ist ein Open Source Projekt von Atari-Enthusiasten, entsprechend ist die Firmware dafür quelloffen und man kann sich sogar eine unbestückte Leiterplatte bei PCBWay bestellen:
Dennoch habe ich mich diesmal gegen einen Selbstbau entschieden. Die einzelnen SMD-Teilchen wären mit meinen dürftigen Lötkenntnissen sowie dem aktuellen Werkzeugbestand zwar vielleicht gerade so noch machbar, aber vor dem Mikrocontroller mit seinen vielen kleinen Beinchen habe ich dann doch etwas Respekt. Ebenso fehlt mir aktuell auch irgendwie die Lust, wieder auf „Teilejagd“ zu gehen und mir die ganzen Bauteilchen einzeln zusammen zu hamstern. Dementsprechend habe ich es mir diesmal einfach gemacht und mir eine fertige UnoCart 2600 gekauft. Man merkt dennoch, dass es eher ein Hobbyprojekt ist und in Handarbeit zusammengebaut wird. Das Gehäuse rund um die Platine kommt aus dem 3D-Drucker und der verpixelte (und schlecht ausgeschnittene) Aufkleber sieht schon sehr nach „DIY“ aus finde ich! 🙂
Fun Fact: Ich will aber gar nicht lästern. Prinzipiell finde ich es lobenswert, dass die Verkäufer nicht einfach ein originales Atari-Modul für die UnoCart geopfert haben. Frei nach dem Motto: No original Atari games were harmed during the production of this flash cartridge! 😛
Tatsächlich gäbe es auch eine „professionelle“ Alternative zur UnoCart 2600. Die sog. „Harmony Cartridge“ getaufte Flashkarte ist ein kommerzielles Produkt, welches prinzipiell die gleichen Funktionen wie die UnoCart bietet, zusätzlich aber mit einer besseren Kompatibilität, was Homebrew-Titel angeht, aufwarten kann. Ebenso gäbe es mit der „PlusCart(+)“ sogar ein Modul, welches die ROM-Dateien nicht von einer SD-Karte, sondern von einem Server im Internet herunterladen könnte. Dadurch können z.B. mit entsprechenden ROM-Patches die Highscores von Spielen zentral im Netz verwaltet werden. Klingt abgefahren, aber ich bleibe dann doch lieber bei der „Offline-Lösung“ 😉
Generell lässt sich über die Sinnhaftigkeit solcher „All-in-one-Module“ streiten. Puristen behaupten, dass nichts über das Spielen der Spiele von originalen Modulen geht. Hardware-Fans behaupten, dass solche Flashkarten die Konsolen (bzw. deren Modulschacht) schonen, weil man nicht permanent Spiele einstecken und herausziehen muss. Software-Fans können mit der Konsole sowie sämtlichen Modulen (seien es nun Originale oder nachgebaute Cartridges) gar nichts anfangen und setzen lieber auf Emulatoren (z.B. auf dem Smartphone oder einem PC).
Ich selbst würde mich irgendwo in der Mitte zwischen den Puristen und den Hardware-Fans einordnen. Für gewöhnlich verwende ich am liebsten auch originale Module. Leider sind diese häufig nicht mehr zu kaufen und wenn dann meist recht teuer. Das ist im Endeffekt auch kein Wunder bei zum Teil über 40 Jahre alten Videospielen! Ebenso werden die teils über vier Jahrzehnte alten, in den Modulen verbauten Komponenten auch nicht besser (und damit unzuverlässiger) und so greife ich – gerade zum Zocken – gerne auch mal auf so eine Flashkarten-Lösung zurück.
Genug geschwafelt – schnell zurück zur UnoCart! Damit die Atari-Flashkarte ihr Zauberwerk vollbringt, müssen wir sie natürlich mit ein paar ROM-Dateien füttern. Dafür benötigen wir eine FAT32 formatierte MicroSD-Karte. Bei meiner UnoCart war bereits eine 16GB große No-Name-Karte dabei, auf welche wir ein paar Atari Spiele kopieren können:
Fun Fact: Im Endeffekt ist eine 16GB große Speicherkarte völlig übertrieben, wenn man bedenkt, dass die komplette Bibliothek an Atari 2600 Spielen gerade mal ein paar Megabyte groß ist. Kein Witz – die Spiele bestehen tatsächlich nur aus ein paar Kilobyte (2kB bis max. 32kB)! Ist das nicht verrückt? Selbst die Word-Datei, in welcher ich diesen Beitrag verfasse, hat schon 18kB – und das ist nur Text! 🙂
In jedem Fall macht es Sinn, die ROM-Dateien in einzelne Ordner (z.B. alphabetisch gegliedert) einzusortieren, denn leider kann die Firmware der Flashkarte nur 80 Dateien pro Ordner verarbeiten. Entsprechend kann es sein, dass man mehrere Unterordner anlegen muss, sofern man viele ROMs besitzt. Die UnoCart unterstützt Atari-ROM-Dateien in den Formaten .A26, .BIN oder .ROM.
Damit ist die UnoCart aber auch schon einsatzbereit und kann in den Atari verfrachtet werden:
Nach dem Start der Konsole begrüßt uns das Hauptmenü der Flashkarte. Hier finden sich die Ordner mit den einzelnen ROM-Dateien, der Name des Entwicklers der UnoCart sowie die aktuelle Firmware-Version (v17).
Fun Fact: Der Entwickler der originalen Firmware hat sich mittlerweile zurückgezogen, allerdings wird die Steuerungssoftware der UnoCart von einem anderen Team weiterentwickelt und lässt sich seit einigen Versionen bequem über eine spezielle Datei (Update.bin) auf der SD-Karte auf eine neue Version patchen. So lobe ich mir das!
Per Tastendruck können wir nun in einen Unterordner navigieren…
…und ein Spiel starten. Standesgemäß (wie auch schon damals in Artikel 107) habe ich natürlich das 1982 erschienene „Berzerk“ ausprobiert. Das Spiel ist – wie die meisten Atari-Spiele dieser Zeit – extrem primitiv, aber genau das macht den Charme aus. Berzerk sollte man auf jeden Fall mal gespielt haben – alleine schon wegen den kultigen Soundeffekten! 😀
Ihr könnt mit Shoot-‘em-ups nichts anfangen? Wie wäre es mit einer Runde „Eishockey-Fieber“ für echte Sportskanonen? 😛
Fun Fact: Preisfrage – von welchem namhaften Herausgeber wurde „Eishockey-Fieber“ 1983 veröffentlicht? Vielleicht Activision? Oder Ataris selbst? Alles falsch. Wer jetzt auf den „Quelle Versandhandel“ getippt hat, bekommt das goldene retrololo-Verdienstkreuz von mir verliehen! 😛 Aber Spaß beiseite – tatsächlich wurde eine Vielzahl an Atari-Spielen unter dem Begriff „Telespiele“ über den Quelle-Katalog vertrieben. Meist handelte es sich dabei um abgespeckte (und entsprechend günstiger vertriebene) Versionen von deutlich bekannteren Titeln mit fragwürdiger Herkunft. Ist das nicht irre, wie man in den Achtzigern einfach ROM-Hacks von bekannten Spielen verkaufen konnte? Heutzutage würde man mit so einer Aktion vermutlich bis auf sein letztes Hemd verklagt werden! 😀
Täuscht euch nicht – auch wenn ich hier zwischenzeitlich mit 2:0 in Führung liege, habe ich gefühlt keine Chance, das Match zu gewinnen. Die KI-Gegner sind brutal schwer (um nicht zu sagen maximal unfair) und dementsprechend habe ich die Rutschpartie nach wildem Joystick-Gerüttel schlussendlich mit 2:5 verloren. So ist das Leben.
Neben „originalen“ (also in den Achtzigern entwickelten und verkauften) Spielen werden auch einige Homebrew-Titel von der UnoCart unterstützt. Dabei handelt es sich um von Privatpersonen programmierte Spiele, welche größtenteils erst innerhalb der letzten Jahre (weit nach der Blütezeit des Atari 2600) für die Retro-Konsole erschienen sind. Einer dieser Titel ist „Dark Keep“, ein auf dem Spielprinzip des Brettspiels „Dark Tower“ basierendes Videospiel:
Nanu? Der Name Dark Tower erinnert mich doch an irgendetwas. Haben wir den Begriff nicht schon irgendwo mal gehört? Richtig – lange ist es her, da haben wir uns in Artikel 42 den Brettspielklassiker „Atlantis“ angesehen, welcher in der englischen Version „Dark Tower“ heißt:
Um ehrlich zu sein ist die Videospieladaption „Dark Keep“ einer der Hauptgründe für den Kauf der UnoCart. Das Brettspiel hat mich schon immer fasziniert und die Entwickler Edward Smith und Kevin Mosley haben ihr möglichstes getan, der analogen Vorlage gerecht zu werden. Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue, endlich dieses Spiel spielen zu können. Moment mal – irgendwas stimmt hier aber nicht. Wieso sind denn die Farben so schief?
Das liegt daran, dass ich versucht habe, die NTSC-Version des Spiels zu starten. Zur Erinnerung: Nicht nur ist die Bildfrequenz bei den Fernsehnormen PAL und NTSC unterschiedlich (PAL 50 Hz, NTSC 60 Hz), auch ist der Farbraum der beiden Standards komplett verschieden. So werden z.B. die grünen Farben des Bodens als blau interpretiert und die blauen Farbtöne des Himmels als lila. Ernsthaft – wie häufig haben wir uns schon mit den unterschiedlichen Fernsehnormen herumärgern müssen. So ein Mist! 😀
Not so fun Fact: Wer jetzt denkt, man könnte einfach den Jumper an der UnoCart auf NTSC setzen, hat leider einen Denkfehler. Dadurch ändert sich nur der Standard des Moduls von PAL auf NTSC – die Atari-Konsole selbst arbeitet weiterhin im PAL-Modus (weil es ja ein europäisches Gerät ist) und die Farben des NTSC-Spiels werden dementsprechend auch dann falsch angezeigt. Schade!
Glücklicherweise hat der Entwickler auch eine für den PAL-Standard angepasste Version des Spiels veröffentlicht. Diese läuft allerdings nicht in der nativen PAL-Norm (also mit 50 Hz), sondern im etwas seltener verwendeten „PAL60-Standard“ (also im PAL-Farbraum, dafür aber mit 60 Hz), welchen nicht alle Fernseher unterstützen. Gut, dass unser LG-TV (Modell „49LB620V“) das scheinbar kann, denn mit verwendeter PAL60-Version sieht das Spiel gleich viel besser aus:
Grüner Boden und blauer Himmel – so muss das! 😉
Das Spielprinzip habe ich ja bereits ausführlich in Artikel 42 erklärt. Zug um Zug ziehen wir durch ein Königreich und versuchen drei Schlüssel zu finden, um anschließende den schwarzen Turm zu stürmen. Während es auf manchen Spielfeldern eher ruhig zugeht…
…werden wir gelegentlich von Räubern angegriffen! Nicht nur wurde die Grafik authentisch (wenn auch zweckmäßig) umgesetzt, auch passen die piepsigen Sounds der Atari-Konsole prima zu den Soundeffekten, welche der elektronische Turm des Brettspiels von sich gibt.
Im Grabmal oder der Ruine gibt es Gold und Schlüssel zu entdecken. Meist müssen dafür aber ein paar Räuber niedergestreckt werden.
Um ehrlich zu sein bin ich begeistert und gleichzeitig maximal verblüfft, wie die Programmierer es geschafft haben, das gesamte Spiel in eine 32 Kilobyte große ROM-Datei zu quetschen. Videospiele für Retro-Konsolen sind einfach ein Beweis dafür, dass es nicht auf eine gute Grafik sondern gutes Spieldesign ankommt. Da könnten sich einige AAA-Titel heutzutage eine Scheibe abschneiden! 😉
Genug geschwärmt, wo waren wir? Ach ja, bei der UnoCart! 😀 Alles in Allem ist das Teile eine gute Möglichkeit, Atari 2600 Spiele zu spielen, ohne auf die originalen Module zurückgreifen zu müssen. Besonders gut gefällt mir, dass man keine kryptische Software oder spezielle Konfigurationsdateien benötigt und einfach mit den ROM-Dateien auf einer MicroSD-Karte loslegen kann.
So, bitte entschuldigt mich jetzt – ich habe da noch einen Turm zu erobern. Was?! Schon wieder Game Over? Seufz – hätte ich doch mal lieber auf das Spielgeschehen achtgegeben, anstatt irgendwelche Blogbeiträge über Retro-Hardware und Homebrew-Spiele zu verfassen! 😛
In diesem Sinne – bis die Tage, ciao!