#351 – Xbox hat Zuckungen

#351 – Xbox hat Zuckungen

Mann ist das ärgerlich… Da schaltet man mal ein, zwei (oder zehn?) Jahre ein Gerät nicht mehr ein und schon ist es kaputt! 😛 Wovon ich rede? Na, von dieser – optisch eigentlich ganz gut gealterten – Xbox Konsole!

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Dabei heißt es doch Legenden sterben nie! Tja, dieser Satz ist leider Mumpitz, denn auch die Besten müssen irgendwann gehen. Wieso soll dieser schnöden, alten Xbox-Konsole überhaupt der Legendenstatus vergönnt sein? Nun, das gute Stück begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Ich erinnere mich, dass ich das Gerät als Jungspund für 30€ vom Ex-Freund meiner Tante für meinen Bruder und mich gekauft habe. Lang ist es her…

Fun Fact: Da es heutzutage eine ganze Reihe an Xbox-Konsolen gibt, wird die erste Xbox auch gerne „Xbox Classic“ oder „Xbox Original“ genannt.

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Während uns die Konsole vor ca. 20 Jahren etliche schöne Momente bereitet hat, liegt das arme Ding nun seit geraumer Zeit eingemottet im Keller. Damit ist jetzt Schluss! Wie ihr wisst, habe ich ein Herz für betagte Unterhaltungselektronik und es wird höchste Zeit, mal wieder die ein oder andere Stunde mit Microsofts Einstieg in den Markt der Spielekonsolen zu verbringen.

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Blöd nur, dass das hochgelobte Stück Technik uns einen Strich durch die Rechnung macht. So bleibt der Bildschirm beim Start der Konsole schwarz und erst nach mehreren Versuchen gibt das Ding ein Lebenszeichen in Form des Xbox-Logos von sich. Immerhin!

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Frei nach dem Motto „too young to die, to old to rock ‘n‘ roll“ wehrt sich die Kindheits-Xbox, den Löffel endgültig abzugeben. Woher ich das weiß? Im Hauptmenü angekommen fängt das Bild an zu flackern und es tauchen immer wieder Grafikfehler auf. Man könnte meinen, die arme Xbox hat Zuckungen! Ich glaube nicht, dass es an der Aufregung liegt, nach so langer Zeit wieder in Aktion zu sein. Hier scheint grundsätzlich etwas nicht zu stimmen.

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Tja, da hilft nur eins: Wir müssen uns die kränkelnde Konsole etwas genauer ansehen und prüfen, ob lebensverlängernde Maßnahmen noch sinnvoll oder überhaupt möglich sind. Schwester Tanja – bitte legen Sie den Patienten auf den Bauch.

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Oha! Sieht so aus, als wäre schon mal ein Chefarzt an der Konsole dran gewesen. Das macht Sinn, denn schließlich ist in dem Gerät ein Modchip verbaut, welcher die Konsole mit einer alternativen Benutzeroberfläche und der Fähigkeit, Emulatoren und Multimediainhalte abzuspielen, ausstattet. Anhand der Seriennummer können wir herausfinden, dass die Xbox im April 2004 in einer Fabrik in China produziert wurde und die Mainboard-Version 1.4 verbaut sein müsste.

Fun Fact: Wisst ihr, was lustig ist? Der Elektronik-Doktor, der die Konsole schon mal in den Fingern hatte, ist uns sogar bereits bekannt! In Artikel 94 hat er uns mit einem SNES-PAL-CIC-Chip zur Verbesserung des Tristar-Adapters ausgeholfen. Ist es nicht verrückt, dass er Jahre zuvor exakt diese Xbox aufgemotzt hat?! Was für ein irrer Zufall. 😀

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Wo tut es denn jetzt weh? Um das herausfinden, muss sich die Konsole erst mal untenrum freimachen. Ein paar der extrem langen Schrauben (T20) verstecken sich unter vier Gummifüßchen:

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Anschließend lässt sich die Gehäuseoberseite entfernen. Mit freiem Oberkörper können wir auch schon die ersten inneren Organe begutachten.

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Tatsächlich basiert die erste Xbox auf handelsüblicher PC-Hardware, wenngleich die Architektur und logischerweise auch die Software nichts mit IBM PCs gemeinsam haben. Entsprechend finden sich hier einige bekannte Bauteile, wie z.B. eine 80 Gigabyte Western Digital Festplatte und ein Philips VAD6035/21 DVD-ROM-Laufwerk, welche beide über den IDE/ATA-Bus am Mainboard hängen.

Not so fun Fact: Leider können keine beliebigen Ersatzteile zum Austausch defekter Komponenten verwendet werden. Die Xbox ist sehr zickig und merkt sofort, wenn eine nicht unterstützte Festplatte oder ein „normales“ DVD-Laufwerk, welches nicht zum Abspielen der Xbox Game Discs (so werden die speziellen DVDs genannt, auf denen sich die Xbox Spiele befinden) in die Konsole eingebaut wird. Gerade die sterbenden DVD-ROM-Laufwerke sind ein echtes Problem, da sich die Ersatzteilsuche entsprechend schwierig gestaltet. Bastler gehen sogar so weit und versuchen, PC-DVD-Laufwerke mit spezieller Firmware so zu modifizieren, dass auch Xbox-Spielediscs gelesen werden können. Echt irre. Was soll man noch sagen? Optische Medien und Datenträger stehen einfach vor dem Aus! 🙁

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Immerhin lassen sich beide Komponenten (Festplatte & Laufwerk) recht einfach ausbauen. Die Trägerplatte, auf der die Festplatte sitzt, ist lediglich durch eine Schraube (T10) gesichert.

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Beim DVD-Laufwerk sind es zwei Torx-Schrauben, aber anschließend lässt sich auch der Scheibenfresser problemlos entfernen:

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Lässt sich bereits etwas diagnostizieren? Auf den ersten Blick sind keine defekten oder offensichtlich angeschlagenen Organe erkennbar und das Herz (Mainboard) scheint auch noch ordnungsgemäß zu schlagen. Eigentlich ein gutes Zeichen!

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Wir müssen wohl etwas genauer hinschauen. Ein berühmt-berüchtigter Kandidat für Probleme ist der sog. „Clock Capacitor“. Dieser Superkondensator ist zum Erhalt der Uhrzeit bei ausgeschalteter Konsole da und läuft sehr gerne mal aus. Die austretende Säure zerstört dann im Lauf der Zeit Leiterbahnen. Das Ding ist vermutlich einer der Hauptgründe, warum viele Xbox-Konsolen dank korrodiertem Mainboard mittlerweile das Zeitliche gesegnet haben. Das Problem auslaufender Kondensatoren oder Batterien kennen wir ja schon von diversen alten PCs!

Not so fun Fact: Wisst ihr, was das Ärgerlichste an dem Clock Capacitor ist? Das Ding ist völlig nutzlos, da es nur bis zu 3 Stunden, nachdem die Konsole ausgeschaltet wurde, die Datums- und Zeiteinstellungen erhalten kann. So ein Blödsinn! Hier hat Microsoft gespart und anstelle einer Speicherbatterie (Knopfzelle) oder eines aufladbaren Akkus lieber eine tickende Zeitbombe in Form eines billigen Speicherkondensators verbaut. Was für ein Schrott!

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Bei unserem Patienten sieht der Kondensator allerdings noch recht gut aus und ich glaube nicht, dass er die Fehlerquelle ist. Also müssen wir uns weiter umsehen.

Fun Fact: Der Blick auf den Focus Video-Encoder-Chip bestätigt die Annahme, dass es sich um die Mainboard-Version 1.4 handelt. Wir hatten echt Glück mit dem Clock Capacitor. Das in der Konsole verbaute, goldene Kondensatormodell ist deutlich weniger anfällig für Säure-Leckagen, als die schwarzen Elkos, welche bei älteren Mainboard-Revisionen verbaut wurden. Für gewöhnlich wurden die besseren Kondensatoren erst in späteren Versionen (ab Modell 1.6) verbaut. Unsere Xbox ist eines der wenigen Modelle, mit 1.4er Board, welches schon den guten Clock Capacitor hat! 🙂

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Auch die restlichen Organe wie z.B. das Gehirn (Pentium III CPU mit 733 MHz), die Lunge (64 MB Arbeitsspeicher), die Leber (Flashchip für das BIOS-ROM) oder die Nieren (NV2A-Chip mit GeForce3-GPU) machen einen guten Eindruck. Selbst die nachträglich eingebaute, künstliche Hüfte (der rote Modchip) lassen optisch keine Blessuren erkennen. Was fehlt der armen Xbox nur? Wo ist nur Dr. House, wenn man ihn mal braucht? 😛

Fun Fact: Wusstet ihr, dass als Basis für das Betriebssystem der originalen Xbox-Konsole Windows 2000 als Vorlage gedient hat? Im 256 Kilobyte großen, bzw. kleinen BIOS-Chip läuft eine modifizierte Mini-Version des Windows-NT-Kernels.

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Schon ein wirklich schwieriger Patient, diese Xbox! Vielleicht sollten wir unseren Blick auf die vielen Knochen und Muskeln (Widerstände, Kondensatoren, Spulen, integrierte Schaltkreise, etc.) richten. Erst nach intensiver Untersuchung sind mir die drei fetten Elektrolytkondensatoren (6,3 V, 3300 uF) direkt unterhalb der CPU aufgefallen:

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Man kann ganz klar erkennen, dass diese stark aufgebläht sind und bei einem der Bauteile bereits etwas Säure ausgelaufen ist. Ein aufgeblähter Bauch oder übersäuerte Muskeln sind nie gut, das weiß selbst der dilettantischste Mediziner! 😉

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Um die in Mitleidenschaft gezogenen Organe tauschen zu können, müssen wir leider das Mainboard vollständig ausbauen. Dafür müssen als Erstes sämtliche Adern und Venen (Steckverbindungen zu Netzteil, Lüfter, Laufwerken, Controllerports, etc.) temporär getrennt werden. Ein ganz schöner Aufwand, ob das alles die Krankenkasse übernimmt?

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Das Board selbst ist nur mit ein paar weiteren T10-Schrauben im Körper verankert:

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Wirklich erstaunlich, was alles benötigt wird, damit so ein Organismus rund läuft. Das Herz selbst ist gar nicht mal so groß, dafür aber unheimlich komplex aufgebaut:

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Wenn ich mir die geschlachtete Xbox so ansehe, kommen mir Zweifel, ob diese Operation nicht eine Nummer zu groß für einen so unerfahrenen Mediziner wie mich ist! 🙁

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Nicht verzagen, schließlich braucht der Patient dringend Hilfe. Die kommt auch – in Form von ein paar neuen Organen, ähm, ich meine natürlich Elektrolytkondensatoren:

Not so fun Fact: Wie immer musste ich mehrere Tage (wenn nicht sogar Wochen) auf passende Spenderorgane warten. Eines ist mal klar – das Gesundheitssystem ist am Arsch! 😛

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Die Operation selbst ist dann eigentlich gar nicht so schwer. Defekte Organe raus, neue verpflanzen und abschließend alles schön sauber machen:

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Schwester Tanja, bitte nähen Sie den Patienten wieder zu. Mal sehen, ob er das Bewusstsein erlangt.

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Tatsache! Scheint so, als hätte die Xbox die OP gut überstanden, denn direkt nach dem Einschalten zeigt sich das Dashboard in seiner vollsten Pracht ganz ohne Grafikfehler:

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Auch das Belastungs-EKG sieht gut aus, alle Werte sind im Normalbereich:

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Dank verbautem Modchip lassen sich auf der internen Festplatte installierte Spiele ganz ohne eingelegte Xbox Game Disc starten. Hier läuft z.B. gerade „The Simpsons Hit & Run“:

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Ich bin zufrieden und der kränkelnden Konsole scheint es auch besser zu gehen. Genau die richtige Zeit für ein kleines Fazit. Während ich mit Microsofts späteren Konsolen der Xbox-Reihe nie so recht warm geworden bin, ist mir das Ur-Modell der Xbox immer in guter Erinnerung geblieben. Dabei machte gerade das Nachfolgemodell (die Xbox 360) einiges richtig: Die Spielauswahl war dank der Xbox Live Arcade deutlich größer und auch gilt der kabellose 360-Controller bis heute für mich als eines (wenn nicht sogar das) beste Gamepad aller Zeiten.

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Trotzdem (vielleicht auf Grund der Kindheitserinnerungen) wird die originale Xbox immer einen festen Platz in meinem Herzen haben. Ich hoffe einfach mal, dass mich die Konsole dank der technischen Überholung noch das ein oder andere Lebensjahr begleitet! 🙂

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In diesem Sinne – bis die Tage, ciao!

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