#180 – VHS

Schließt eure Augen und versucht euch mal in folgende Situation hineinzuversetzen: Es gab eine Zeit, in der konnte man sich nicht einfach per Knopfdruck jedes beliebige, mediale Erlebnis (sei es nun die aktuelle Folge der Lieblingsserie oder ein brandneuer Spielfilm) auf den Bildschirm zaubern. Es war eine Zeit, in der Filme auf echten Datenträgern (seien es nun Blu-rays, DVDs oder Videokassetten) wertvolle Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke waren. Eine Zeit, in der viel selektiver und bewusster Medien konsumiert wurden…

Was? Das könnt ihr euch nicht mehr vorstellen? Kein Wunder, in Zeiten von „Binge Watching“ dank einem Überangebot der Streamingdienste à la Netflix, Amazon Prime oder Sky hat sich das Konsumverhalten verändert und die Leute sind durch die Vielzahl an Möglichkeiten verwöhnt! 😀

Ich scherze nicht – die älteren Semester unter euch werden sich vielleicht noch daran erinnern wie aufwändig es war einen guten Film für das Wochenende oder eine Kindergeburtstagsfeier zu organisieren. Meist beinhaltete das den Besuch der Videothek um die Ecke, nur um dann frustriert festzustellen, dass der gewünschte Film bereits verliehen war…

Als Alternative blieb dann nur häufig der Fernseher, aber wenn es eine Sache gibt, die sich im Lauf der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte leider nicht verändert hat, ist das die Tatsache, dass größtenteils nur Schrott in der Glotze läuft! Und wenn tatsächlich mal etwas Interessantes lief, dann wollte man sich den Streifen möglichst gleich auf Dauer sichern. Für genau diesen Zweck gab es Videorekorder, welche den ausgewählten Film für immer (oder bis zum nächsten Überspielvorgang) auf Videokassette bzw. VHS (was für Video Home System steht) bannen.

Auch heutzutage gibt es noch TV-Rekorder, mit denen sich stundenlang TV-Programm relativ bequem (Mehrfachaufnahmen, Zeitsteuerung, Sicherung der Daten in die Cloud, etc.) aufzeichnen lässt. Mir persönlich erschließt sich deren Sinn nicht wirklich. Die meisten Filme und Serien gibt es (häufig sogar in deutlich besserer Qualität und ohne Werbepausen) bei Streaming-Diensten und man muss sich ernsthaft die Frage stellen, ob es sich noch lohnt gigabyteweise an Daten digital auf Festplatte sichern. Wann soll man sich den ganzen Schrott denn bitte noch reinziehen?!

Mann war das ein langes Intro! Warum erzähle ich euch das alles? Nun, wie es der Zufall will hat mir mein Kumpel Michi (der Typ der immer die schönen Alben-Cover für mich designed) folgende beiden VHS-Kassetten mit der Bitte um Digitalisierung in die Hand gedrückt:

Fun Fact: Tatsächlich habe ich die Tage erst ein paar „Shaun das Schaf“-DVDs für meinen Neffen digitalisiert. Klar, das ist kein Vergleich zu den VHS-Tapes, aber ich könnte mir vorstellen, dass auch so eine Aufgabe für viele Leute mittlerweile eine echte Herausforderung wäre. Schließlich gibt es immer weniger Geräte mit optischen Laufwerken und wer hat schon noch einen DVD-Player zu Hause? 😀

Uff – vor ein paar Jahren wäre das kein Problem gewesen, da hatte ich noch mehrere Videorekorder und sogar Multifunktionsgeräte, welche automatisiert den Inhalt der VHS-Kassetten auslesen und auf DVD oder USB-Stick speichern konnten. Da ich allerdings im Familienumfeld schon lange (vor fast zehn Jahren) sämtliche Videokassetten digitalisiert habe, sind all diese Geräte mittlerweile im Elektroschrott oder auf eBay gelandet. Alle Geräte? Nein, ein kleines gallisches Dorf, ähm ich meine ein großer schwarzer Kasten hat diverse Ausmistaktionen überlebt und fristet seit Jahren ein trauriges Dasein in einer Kiste auf dem Dachboden – jetzt ist seine große Stunde gekommen:

Darf ich vorstellen? Ein „Panasonic NV-HV61“ Hi-Fi-Stereo-Videorekorder. Das gute Stück stammt aus dem Jahr 2004 und ist somit relativ spät in der VHS-Ära erschienen, denn die ersten Geräte dieser Art gab es bereits in den Siebzigern zu kaufen.

Fun Fact: Tatsächlich wurden bis ins Jahr 2016 noch Videorekorder hergestellt. Schon verrückt, wenn man bedenkt, dass es bereits seit 1997 DVDs gab und nur zehn Jahre später die Blu-rays folgten! 😀

Technisch gesehen ist das Teil (gerade im Vergleich zu vielen Billiggeräten) im oberen Mittelfeld angesiedelt und bietet trotz einfacher Bedienung einen soliden Funktionsumfang. So ist z.B. eine Schnellspulfunktion, eine Aufnahmeprogrammierung oder ein Rückspulmechanismus mit an Bord. Alles Dinge, die heutzutage keinen (außer mich vielleicht) mehr vom Hocker reißen! xD

Fun Fact: Ich habe mir den Panasonic eigentlich nur aufgehoben, weil er im Vergleich zu seinen Konkurrenten zuverlässig läuft und die beste Bildqualität bietet aber, wenn ich ehrlich bin hätte ich nicht wirklich gedacht, dass ich das Ding jemals wiederverwenden würde!

Da der Rekorder damals überwiegend als Multifunktionsgerät verwendet wurde, lässt sich damit z.B. auch der Fernseher mit Hilfe der mitgelieferten Fernbedienung steuern – praktisch! 🙂

Mit in der Kiste waren sogar noch ein paar bespielte VHS-Kassetten. Im Vergleich zu ihren kleinen Brüdern, den Musikkassetten, sind VHS-Kassetten nur einseitig bespielbar. Die numerische Angabe hinter dem „E“ bezeichnet die auf dem Band zur Verfügung stehende Aufnahmelänge in Minuten. Einige Geräte ermöglichen mit diversen „Longplay“-Modi durch Reduzierung der Bandgeschwindigkeit eine Verdopplung (oder sogar Verdreifachung) der Laufzeit. Da diese aber deutlich zur Lasten der Qualität geht ist es besser solche Tricksereien nicht zu verwenden! 😉

Fun Fact: Die Bezeichnung „E“ vor der Bandlänge bezeichnet den Fernsehnormstandard. „E“ steht dabei für PAL und „T“ für NTSC. Abhängig davon war auch Bandgeschwindigkeit (PAL 2,339 cm/s, NTSC 3,335 cm/s) unterschiedlich, d.h. um beide Normen zu unterstützen, brauchte man ein spezielles Abspielgerät. Ich habe nachgesehen – der Panasonic-VCR würde sogar beide Formate unterstützen! 🙂

Um ehrlich zu sein habe ich fast etwas Angst mir deren Inhalt zu Gemüte zu führen, wer weiß was sich darauf befindet?! Besser wir verzichten darauf… 😀

Fun Fact: Könnt ihr euch vorstellen, dass 1980 so eine unbespielte E-240-VHS-Kassette inflationsbereinigt ca. 30 Euro kostete? Wahnsinn oder?! Da hat man sich noch gut überlegen müssen, welchen Film oder welche Serie man jetzt wirklich aufzeichnen möchte. Nicht so wie heute, wo gefühlt jeder Doldi permanent mit seinem Smartphone alles mit filmt! 😉

Natürlich wurden Videokassetten nicht nur für private Aufzeichnungen verwendet. Es gab zahlreiche Hersteller, welche Filme und Serien auf VHS veröffentlichten. Gerade für Kinderserien hat sich das Medium sehr lange gehalten. So ist es kein Wunder, dass ein paar dieser Exemplare mit in der Kiste waren. Mann, erinnert sich noch jemand an „Lucky Luke“ oder die „Augsburger Puppenkiste“? 🙂

Ein Unterschied zwischen den beschriebenen Leerkassetten und den original erworbenen Kassetten ist der unterschiedlich gesetzte Schreibschutz! Analog der Audiokassetten kann durch Herausbrechen einer Lasche auf der rückwärtigen Längsseite der Inhalt der Kassette vor dem Löschen, bzw. dem Überschreiben geschützt werden. Theoretisch könnte man also – z.B. durch das Abdecken der Öffnung mit einem Stück Klebeband auch originale VHS-Kassetten überspielen – abgefahren! 😀

Not so fun Fact: Einige ab 1985 erschienen Kassetten enthielten tatsächlich einen echten, analogen Kopierschutz namens „Macrovision“, welcher durch Störimpulse innerhalb des Videosignals alle Videorekorder mit automatischer Verstärkungsregelung verwirrt, um so unbrauchbare Kopien (Helligkeitsschwankungen oder Fehler bei der Farbsättigung) zu erzeugen – echt fies!

So – genügend Theorie. Ich denke wir sollten erst mal prüfen ob der Videorekorder noch läuft. Der Anschluss an den Strom gestaltet sich ja noch sehr einfach. Die Frage ist nur – wie bekommen wir das Ausgabesignal digital auf den Computer? Schließlich gibt es am PC ja keine „SCART“-Schnittstelle! 😉

Natürlich ist mir sofort der „USB Video Grabber“, welchen wir bereits in diversen Blogartikeln verwendet haben, eingefallen. Guter Plan – doch wie zur Hölle bringen wir die männliche SCART-Buchse auf weibliche Cinch-Buchsen? Da fehlt irgendwie noch ein Zwischenstück oder so…

Ich hör schon die Schlaumeier unter euch rufen: Aber retrololo, dafür gibt es doch extra so spezielle Adapter, mit welchen das klappen müsste. Tja, blöd nur, dass ich so etwas nicht (mehr) herumliegen habe, dementsprechend müssen wir improvisieren. Mal sehen, ich habe noch eine SCART-Kupplung, ein Composite-Kabel und einen SCART-auf-Cinch-Adapter. Ob sich damit was machen lässt?

Die fertige Lösung ist gelinde gesagt abenteuerlich und sieht irgendwie „falsch“ aus, aber ich denke es sollte funktionieren! 😀

Um das Videosignal am PC zu empfangen verwende ich wieder die Software „DScaler“. Ich denke jetzt könnten wir einen ersten Test wagen. Ob der Videorekorder noch funktioniert? Power on!

Es sieht gut aus! Zumindest leuchtet etwas im Display auf! 🙂

Fun Fact: Erst im Nachhinein habe ich mit Hilfe der Anleitung herausgefunden was das „A2“ in der Displayanzeige bedeutet. Es steht für die Quelle des Eingangssignals (SCART1, SCART2, Analog)!

Um zu testen, ob das Teil auch noch eine Kassette lesen kann, habe ich „Lucky Luke 2 – Calamity Jane“ eingelegt und mutig auf „Play“ gedrückt. Das Laufwerk erkennt, dass die Kassette mit Dolby-Rauschunterdrückung aufgenommen wurde und startet den Bandzähler – Raketentechnologie! xD

Und was soll ich sagen – das Signal kommt (nach Anpassung der Windows-Soundeinstellung zur Aktivierung des USB Grabbers als Wiedergabegerät) tatsächlich am PC an. Mann, das nenne ich mal Technik! Über ein Jahrzehnt auf dem Dachboden und das Teil funktioniert ohne Probleme. Keine Firmwareupdates, keine nicht erreichbaren Downloadserver, keine In-App-Käufe, keine digitalen Accounts, kein nicht mehr unterstütztes Betriebssystem – einfach nur Funktion. Sehr geil! 🙂

Fun Fact: Prinzipiell arbeitet VHS (PAL) mit einer Auflösung von 576×240, allerdings ist das Signal von einigen Faktoren (Auflösung des Filmmaterials, Auflösung des Abspielgeräts sowie Auflösung des Aufnahmegeräts) abhängig. Alles viel zu viele Details, die uns heute gar nicht weiter interessieren sollen. Letztendlich habe ich 720×576 verwendet, weil das der höchste Wert ist, den der USB-Grabber unterstützt und alle anderen Auflösungen (720×480, 640×480, 320×240) das Bild verzerrt haben! 😉

Die Qualität ist gar nicht mal so schlecht. Klar – wir sind hier nicht auf DVD-Niveau, aber trotzdem bin ich überrascht wie gut das Bild aussieht. Die Frage ist nur, ob das Signal bei den selbst aufgezeichneten Kassetten auch noch so gut ist. Meist ist dem nicht so, weil diese Leerkassetten ja mit Amateurequipment (DV-Camcorder) aufgezeichnet oder bereits mehrfach überspielt wurden. Ich denke es gibt nur eine Möglichkeit das herauszufinden – rein mit der ersten Kassette ins Laufwerk! 😉

Fun Fact: Bei beiden Kassetten handelt es sich um E-240 Bänder, d.h. dass sich im Normalfall jeweils maximal vier Stunden Filmmaterial darauf befinden sollte. Ich hoffe, dass es weniger ist! 😀

Wir haben Glück, das Band lässt sich abspielen und es sieht so aus als wären nur die ersten 40 Minuten bespielt. Gott sei Dank! 😀 Ernsthaft – ich kann euch gar nicht sagen wie froh ich war den Rest des Bands nur noch das „Bandrauschen“ zu sehen, denn so sparen wir uns einiges an Zeit beim Recording der Aufnahme auf den PC. Seht es mir nach, dass ich aus Datenschutzgründen hier keine Bilder des Videomaterials zeige. Es gibt schon viel zu viele peinliche Aufnahmen im Internet! 😛

Fun Fact: Als Kinder waren wir vom Bandrauschen fasziniert und haben das Flimmern immer liebevoll „Ameisenrennen“ genannt. Schon beeindruckend wie leicht man damals zu begeistern war! 😀

Über das Recording an sich gibt es nicht viel zu sagen. Da ich keine weiteren Tools ins Spiel bringen wollte, habe ich das gleich mit DScaler gemacht. Mit „SHIFT+R“ lässt sich die Aufnahme starten und mit „SHIFT+S“ wieder beenden. Wichtig ist nur, dass man zuvor in den Recording-Einstellungen einige Parameter (wie z.B. die Quelle des Audio-Eingangssignals und die Recording Height) korrekt setzt:

Gute 40 Minuten später haben wir dann tatsächlich den Inhalt der ersten Kassette digitalisiert. Uff – das hatte ich nicht erwartet! Das Programm schneidet die Dateien im RAW-AVI-Format (ohne Kodierung) mit… Das ist heftig, 40 Minuten Video entsprechen so fast 50 Gigabyte an Daten! 😀

Ich befürchte so können wir das nicht lassen. Nicht nur passt das Video so nicht mal auf einen einfachen USB-Stick drauf, auch ist fraglich ob jeder Mediaplayer (sowie jedes Abspielgerät) überhaupt mit dem Dateiformat und der Dateigröße umgehen kann. Alles kein Problem – mit Hilfe des Programms „Freemake Video Converter“ habe ich die AVI-Datei in das MP4-Format konvertiert.

Und siehe da – schon sind es nur noch knapp 600 MB. Wahnsinn was so eine Kodierung ausmacht! 🙂

Nachdem das so gut funktioniert hat, habe ich anschließend noch die zweite Kassette digitalisiert. Auch dabei gab es keine Probleme und es waren sogar nur knapp 24 Minuten an rettungswertem Videomaterial. Sehr schön, ich denke damit können die Kassetten endlich in ihren verdienten Ruhestand gehen und die Videos sind (bei redundanter Speicherung) für alle Zeiten digital gesichert.

Es ist schon interessant wie schnell sich die Technik und letztendlich auch die Gewohnheiten der Menschen, welche sie verwenden, verändern. Bis vor wenigen Jahren waren physische Medien (wie VHS, DVDs, Blu-Rays) noch gang und gäbe, aber heutzutage kräht kein Hahn mehr danach, weil es einfach wesentlich komfortablere Alternativen gibt. Selbst das Konzept „Fernsehen“ wirkt für die meisten Leute irgendwie schon veraltet und gerade die jüngste Generation kann mit dem TV-Programm sowieso schon lange nichts mehr anfangen. Ich bin echt gespannt, wohin die Reise geht…

In diesem Sinne – bis die Tage, ciao!

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