Seit ich mich erinnern kann, hängt diese Uhr bei meiner Urgroßmutter an der Wohnzimmerwand und tickt unermüdlich vor sich hin. Auch wenn die Kindheitsbesuche bei der Uroma schon ein paar Lenzen her sind – der rustikale Zeitmesser mit seinem lauten Gongschlag ist mir bis heute erstaunlich klar im Gedächtnis geblieben!
„Tempus fugit“, wie der Lateiner sagen würde. Die Zeit rennt. Die Zeit flieht. Die Zeit eilt. Die Zeit geht dahin. Die Zeit rast. Die Zeit kennt keine Gnade, sie schreitet stets voran. Uroma gibt es leider schon lange nicht mehr und auch meine Großmutter, welche die Uhr vor ein paar Jahren übernommen hat, ist mittlerweile in der „Generation Plus“ (genau genommen Ü80) angekommen.
Fun Fact: Tatsächlich stammt das obenstehende Bild aus der Wohnung meiner Oma! 🙂
Um ehrlich zu sein, war ich schon immer fasziniert von der Optik der Uhr und natürlich dem lauten „BIM-BAM“, welches den Stundenwechsel ankündigt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich als Kind vor der Uhr gesessen und auf das Umspringen der Zeiger gewartet habe, nur um den dröhnenden Klang zu hören. Ist es nicht verblüffend, wie leicht man mal zu begeistern war? 😉
Oma ist wohl mittlerweile auch schon etwas am Ausräumen. Völlig logisch, dass ich die Frage, ob ich die Uhr haben möchte, nicht verneinen konnte. Eine sehr vorsichtige Autofahrt später, ist das gute Stück auch schon im Hause retrololo angekommen. Na, wenn das nicht eine perfekte Gelegenheit ist, den betagten Zeitgeber mal etwas genauer zu erkunden! 🙂
Bei der Uhr handelt es sich um einen sogenannten „Regulator“. Unter dem Begriff wird eine Vielzahl von verschiedenen Uhrentypen zusammengefasst. Während ein „Präzisionsregulator“ eher für wissenschaftliche Zwecke und bis in die späten 1960er-Jahre auch als Zeitnormal für die offizielle Zeitbestimmung (Abweichung von weniger als eine Sekunde im Monat) eingesetzt wurde, gibt es auch Armbanduhren, welche dank ihres speziellen Ziffernblatts (angelehnt an die im wissenschaftlichen Umfeld eingesetzten Zeitinstrumente mit getrennter Positionierung von Stunden- und Minutenzeiger auf verschiedenen Achsen) ebenfalls als Regulatoren bezeichnet werden.
Der Begriff wird allerdings auch für klassische Pendelwanduhren mit Feder- oder Gewichtsantrieb verwendet. Diese, meist in rechteckigen Holzgehäusen verbauten, Uhrwerke, wurden Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts in großer Zahl hergestellt und waren eher für den privaten Sektor gedacht. Im Vergleich zu ihren wissenschaftlichen Vorbildern sind bei „Consumer-Regulatoren“ die Zeiger auf einer zentralen Achse angebracht – so wie man es eben von einer normalen Uhr kennt! 🙂
Fun Fact: Hersteller solcher Uhren haben den Begriff „Regulator“ natürlich sehr gerne aufgegriffen, um die Ganggenauigkeit ihrer Wanduhren zu vermarkten! 😉
Produziert wurde die Uhr von der Firma Junghans. Das Baujahr lässt sich auf den ersten Blick nicht erkennen, aber durch Rückfrage in einem Internetforum konnte ich herausfinden, dass der Regulator wohl aus dem Jahr 1937 stammt. Im „Junghans Hauptkatalog 1937/1938“ findet sich sogar die genaue Modellbezeichnung („Gossau IV“). Das Teil besitzt ein fast 20cm großes Metallziffernblatt, ein Schlagwerk mit 14 Tagen Laufzeit und einen wunderschön klingenden Bachgong, welcher durch 3 Klangstäbe erzeugt wird. Wow, na das nenne ich mal Killer-Features! 😉
Was die Technik angeht, handelt es sich um ein Uhrwerk mit Triebfeder-Antrieb. Eine in die Uhr eingebaute Zugfeder muss also mit einem speziellen Schlüssel regelmäßig aufgezogen werden, damit das Pendel schwingt und der Uhrmechanismus läuft. Auf der Vorderseite befinden sich zwei Löcher zum Aufziehen der Uhr. Während des linke Loch für das Schlagwerk (und somit letztendlich für die Klangerzeugung) zuständig ist, wird mit dem rechten das Gehwerk der Uhr aufgezogen, welches die Zeiger betreibt und so letztendlich die Uhrzeit anzeigt.
Natürlich interessiert mich, wie die Uhr im Inneren tickt (haha) und welches Uhrwerk verbaut wurde. Um das zu überprüfen, müssen wir die Klappe auf der Vorderseite der Uhr seitlich entriegeln…
…und sie anschließend öffnen:
Im Inneren des Zeitmessgeräts angekommen, stellen wir fest, dass sich auf dem ersten Blick kaum Technik in der Uhr befindet. Der Laufwerksmechanismus selbst ist an einem Querbrett verschraubt und mit zwei Sechskantschrauben links und rechts gesichert.
Entfernen wir diese, können wir das Ziffernblatt samt Uhrwerk recht einfach aus dem Gehäuse entnehmen.
Not so fun Fact: Mann, diese Schrauben haben schon echt bessere Tage gesehen! 😀 Aber was werfe ich mit Steinen? Wir Menschen schauen mit 85 Jahren ja auch nicht mehr ganz taufrisch aus, oder? 😛
Zumindest das Ziffernblatt macht aber noch einen recht guten Eindruck. Von oben betrachtet könnte man fast meinen, es handelt sich um eine moderne Uhr samt Quarzuhrwerk, wie man sie für 10€ bei Ikea oder im Discounter um die Ecke kaufen kann! 🙂
Auf der Rückseite des Ziffernblatts kommt das wahre Herz der Uhr zum Vorschein – das Uhrwerk!
Puh, da habe ich wohl vorschnell geurteilt. Bei einem genaueren Blick fällt dann doch recht schnell auf, wie komplex und vor allem filigran der Mechanismus wirklich ist. Welches der Rädchen ist für das Schlagwerk zuständig, welches für das Gehwerk? Wie spielt das alles zusammen? Also ich könnte hier nicht auf Anhieb sagen, wie das Ding funktioniert! 😀
Ist es nicht beeindruckend, wie diese ganzen großen und kleinen Zahnrädchen zusammenarbeiten, um ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen? So was würde man sich manchmal auf der Arbeit oder in anderen sozialen Gruppen auch wünschen! 😉
Zumindest die drei Hämmerchen werden wohl Teil des Schlagwerks sein, welches zu jeder halben und vollen Stunde schlägt. Das Leder auf der Oberseite der Hämmer hat schon bessere Tage gesehen, aber ich bin mal so optimistisch, dass der Mechanismus trotzdem noch gut funktionieren sollte.
Not so fun Fact: Je nachdem, welche Art von Schlagwerk man besitzt, kann es sein, dass Schlag- und Gehwerk auseinanderlaufen und so die Uhr z.B. um 8 Uhr 10 mal schlägt. Ist das der Fall, hat die Uhr wohl ein Schlossscheibenschlagwerk verbaut und man muss sie manuell synchronisieren. Etwas bessere, bzw. teurere Modelle haben bereits ein Rechenschlagwerk verbaut. Damit ist sichergestellt, dass Geh- und Schlagwerk immer gleich ticken, da das Schlagwerk die Anzahl der auszuführenden Schläge direkt vom Gehwerk abtastet – clever! 🙂
Doch wie werden eigentlich die Töne erzeugt? Dafür werden Klangstäbe benötigt, auf welche die Hämmerchen schlagen können. Der Mechanismus ist so konstruiert, dass die Hämmer nur ganz kurz die frei schwingenden Klangstäbe antippen und nicht permanent aufliegen. Dadurch klingen die geschlagenen Töne noch lange nach.
Fun Fact: Gebogene Klangstäbe werden Gongfedern genannt. Diese kommen für gewöhnlich in Uhren zum Einsatz, die nur einfach einen „Gong“-Ton erzeugen. Bei Modellen, welche ein kleines Klangmuster (das typische „Ding-Dong“ oder „Bim-Bam“) wiedergeben, kommen stattdessen Klangstäbe zum Einsatz. Je nach Melodie sind meist zwei bis fünf dieser Stäbe verbaut.
Auch wenn im Katalog steht, dass es sich um „Eiche“ handelt: Ich würde mal eher vermuten, dass das Gehäuse des Regulators aus irgendeinem Nadelholz (vermutlich mit Lasur in Eichenfarbe behandelt) gefertigt ist. Man merkt schon etwas, dass der Zahn der Zeit an ihm genagt hat. Trotzdem ist es schön verarbeitet und bietet der Uhr ein stilvolles Zuhause. Die dunkle Farbe erinnert mich irgendwie an alte Möbel, wie man sie aus urigen Gaststätten oder von unbequemen Kirchenbänken kennt! 🙂
Fun Fact: Ich weiß, es ist albern – aber beim Begriff „Regulator“ muss ich immer an Oberbefehlshaber Jens Maul aus der Star Wars- und Star Trek-Parodie „(T)Raumschiff Surprise – Periode 1“ denken. Der sächsische Akzent, mit welchem der gute Rick Kavanian seinen Obermotz Rogul anspricht (ich zitiere: „Jawohl, mein Regulator“), hat sich irgendwie ganz tief in die grauen Zellen eingebrannt! 😀
Beim Erkunden der Uhr habe ich ein paar Inschriften und Nummern gefunden. Mittlerweile konnte ich sogar die Bedeutung der meisten von ihnen klären. Bei der Beschriftung „24 115“ handelt es sich um die Modellnummer des Herstellers. Das Uhrwerk selbst ist vom Typ „W277a“ und wurde tatsächlich im Dezember 1937 gefertigt. Mit der Gravur „109/28 325“ ist die Schlagzahl pro Minute (109), die Anzahl der Zähne am Hemmungsrad (28) und die Länge des Pendels (32,5cm) angegeben.
Genug geredet, ich denke es wird Zeit, dass wir die Uhr zum Laufen bekommen! Damit das klappt, müssen wir an der dafür vorgesehenen Aufhängung…
…das Pendel einhängen…
…und die Uhr aufziehen.
Soweit so gut. Um die Uhr jetzt noch zum Ticken zu bewegen, müssen wir nur noch dem Pendel einen kleinen Schubs geben.
Not so fun Fact: Warum ich hier einfach nur ein Bild der Glasfront genommen habe, anstatt eines, bei dem ich das Pendel auch wirklich anstoße, kann ich euch leider auch nicht mehr sagen! 🙁
Und schon läuft die Uhr – und das nach zig Jahren des Stillstands und gänzlich ohne Wartung. Ist das nicht cool? 🙂 Ich weiß – wen interessiert das? Mich! 😛 Ich weiß nicht, was es ist, aber es hat schon irgendwie etwas beruhigendes, so eine Uhr aufzuziehen und ihr beim Schlagen zuzusehen. Man fühlt sich fast so, als wäre man ein Butler in der Villa eines Herzogs oder Großfürsten! 😀
Ach ja, bevor ich es vergesse – seitlich an der Uhr befindet sich eine Öffnung, durch die man sich den Uhrwerksmechanismus ansehen kann. Das ist vor allem in dem Moment interessant, in dem die Hämmerchen auf die Klangstäbe schlagen! 🙂
Ich habe es ja bereits zu Beginn des Beitrags erwähnt – diese schöne Wanduhr hat mir meine Oma vermacht und sie hat die Uhr wiederum von ihrer Mutter übernommen. Doch wo kommt das Ding ursprünglich her? Der Regulator war wohl 1938 ein Geschenk von meinem Urgroßvater für meine Urgroßmutter – ein Jahr bevor sie 1939 geheiratet haben. Er hat die Uhr gekauft und zu Fuß mehrere Kilometer in einem Rucksack mitgenommen, nur um sie seiner angebeteten Margaretha zu schenken. Ist das nicht süß? Leider ist Uropa wenige Jahre später im 2. Weltkrieg gefallen.
Ist es nicht verrückt, dass die Uhr seit 1938 fast täglich (!) gelaufen ist? Erst 2009 gab es dann wohl Probleme mit dem Werk und sie wurde vom einem Uhrmacher anlässlich des 90. Geburtstags von Uroma wieder flottgemacht. Laut seiner Aussage wurden aber keine Teile getauscht, sondern nur alles auseinandergebaut und gereinigt. Anschließend ist das Teil bis 2012 – also bis zum Tod von Margaretha – gelaufen. Seitdem steht die Uhr still und es wurde nichts weiter an ihr gemacht.
Ich bin sehr glücklich darüber, dass das Teil auch nach zehn Jahren des Stillstands noch einwandfrei funktioniert. Völlig klar, dass die Uhr einen hohen, ideellen Wert für mich hat und dementsprechend darf sie natürlich keinesfalls verkauft oder entsorgt werden. Mittlerweile hat das gute Stück auch einen tollen Platz gefunden und wenn es nach mir geht, dann darf die Uhr dort auch gerne noch die nächsten Jahre oder Jahrzehnte unermüdlich weiterticken… 🙂
In diesem Sinne – bis die Tage, ciao!